Wie aus Dürrenmatts Besuch der alten Dame eine Oper wurde
Die abenteuerliche Geschichte von Gottfried von Einems Überredungskünsten
Zwei Premieren von Opern Gottfried von Einems fanden zur Zelebration von des Komponisten 100. Geburtstag innerhalb von wenigen Tagen in Wien statt. Knapp hintereinander hatten im Theater an der Wien bzw. der Staatsoper Neuinszenierungen Premeire: An der Wien gab man den Besuch der alten Dame, am Ring Dantons Tod.
Das war eine Art "Bäumchen wechsle dich", denn die Dürrenmatt-Vertonung wurde 1971 in der Staatsoper uraufgeführt, der Danton 1947 bei den Salzburger Festspielen, um unmittelbar nach der umjubelten Premierenserie als Leihgabe der Festspiele im Ausweichquartier der Staatsoper, dem Theater an der Wien, seine Wiener Erstaufführung zu erleben.
Das hat nachhaltigen Eindruck gemacht und führte anlässlich der Wiener Festwochen Anfang der Sechzigerjahre zu einer Inszenierung durch Otto Schenk - mit Eberhard Waechter in der Titelpartie und Gerhard Stolze als Robespierre. Diese Produktion wiederum war so wirkungsvoll, dass man auch an der Staatsoper den Versuch mit dem Werk wagen wollte.
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Harry Buckwitz inszenierte 1967 - allerdings mit weniger durchschlagendem Erfolg als zuvor Schenk an der Wien, aber wieder mit Waechter als Danton, der nicht zuletzt mit seiner flammenden Verteidigungsrede vor dem Tribunal für viel Applaus sorgte - und dann, ohne es zu wissen, für die Vorbereitung einer weiteren Opernpremiere.
Gottfried von Einem hatte inzwischen mit dem "Prozess" in Salzburg (er kehrt im August dort konzertant wieder) und dann mit der Nestroy-Vertonung "Der Zerrissene", die in Hamburg uraufgeführt worden war, zwei weitere Musiktheater-Stücke vorgelegt und war überdies in jenen Jahren einer der mächtigsten, wenn auch oft heftig umstrittenen Drahtzieher hinter den Kulissen des österreichischen Kulturlebens.
Umstritten war er deshalb, weil ihn sein Eintreten für die Einbürgerung Bertolt Brechts, dem er als Mitglied des Festspieldirektoriums eine tragende Rolle in Salzburg zugedacht hatte, für manche Kommentatoren und Politiker zur Unperson werden ließ.
Andererseits schätzten jedoch viele Verantwortliche von Einems unverblümte und offenkundig stets über Parteigrenzen hinweg ausgreifende Geisteshaltung; Wien bot sich immer wieder als Uraufführungsort für seine Werke an. Der Repertoire-Erfolg des "Danton" weckte von Einems Lust, etwas Neues für die Staatsoper zu komponieren.
Er wusste auch bereits, welches Sujet er wählen würde: Friedrich Dürrenmatts als Theaterstück so erfolgreiche "Alte Dame", die als in der Fremde zu Reichtum gelangter Racheengel in ihr Heimatdorf zurückkehrt, um ihren einstigen Geliebten, der sie hatte sitzen lassen, lynchen zu lassen.
Dem Vorhaben stand eine kaum vernachlässigbare Hürde im Wege: Dürrenmatt verspürte so gar keine Lust, zum Librettodichter zu werden, und hatte jegliche Vertonung seiner Dramen untersagt. Doch hatte der Schweizer nicht mit dem Dickkopf des (übrigens in Bern geborenen) damals meistgespielten österreichischen Komponisten gerechnet.
Eines Tages beschied der von unzähligen "Eingaben" zermürbte Dichter seinem Musikerkollegen, er möge ihm doch einmal eine seiner Opern vorführen, damit er sich von deren dramatischer Qualität überzeugen könne.
Nun beginnt die Heldenode auf wienerisches Repertoiresystem und Ensemble-Theater: Die Staatsoper brachte es zuwege, kurzfristig ihren Spielplan zu ändern. Direktor Egon Hilbert setzte kurzerhand einen geplanten "Don Giovanni" ab und "Dantons Tod" auf den Spielplan. Eberhard Waechter, er hätte an jenem Abend Mozarts Verführer singen sollen, ging wieder als Revolutionsführer aufs Schafott.
Danach bedurfte es nur noch eines langen Abendessens im damaligen Wiener Spitzenrestaurant, den Drei Husaren - bis Dürrenmatt beim Entkorken der dritten Rotweinflasche seinen Sanktus gab. Den Text half er dann sogar höchstselbst zum Libretto zu verkürzen und einzurichten. Die in Musik gehüllte "Alte Dame" wurde - natürlich wieder mit Eberhard Waechter, sowie der unvergleichlichen Christa Ludwig in der Titelpartie - ein rauschender Erfolg, wie der Komponist ihn seit der Salzburger "Danton"-Premiere nicht mehr erlebt hatte.
Sein kompositorischer Stil hatte sich seit damals ziemlich simplifiziert - die Partitur der "Alten Dame" hat mehr den Charakter einer - nur zwischendurch manchmal übergroß aufrauschenden - Schauspiel-Begleitmusik, während im "Danton" noch kräftig ausgreifende musikalische "Nummern" inklusive zündender Chorsätze für musikalische Innenspannung garantierten. Von Einems notorischer Widerspruchsgeist führte die "Alte Dame" (nach dem fast operettenhaften "Zerrissenen") einen weiteren Schritt in Richtung konsequenter Anti-Avantgarde; die seinem Werk aus postmoderner Sicht freilich geradezu prophetischen Charakter verleiht.
Musikalische Theaterpranke war von Einem ohnehin nie abzusprechen. Die Harmonie mit Dürrenmatts präzis getakteter Dramaturgie ist vollständig - Neueinstudierungen führten die "Dame" in alle Welt; Regina Resnik sang die von Francis Ford Coppola inszenierte 1972 englischsprachige Premiere in San Francisco, Magda Olivero die italienische Premiere in Neapel, 1977 . . .